"Bei der Flachsarbeit"

Lüchow
Datum: 28. und 29. Dezember 1905
Zeitraum: 1900 - 1913

Fotoserie "Altwendländische Trachtenbilder.

Die Aufnahme entstand als Inszenierung während einer Veranstaltung Ende 1905 in Sasse's Kronensaal in Lüchow.

Die Zeitung für das Wendland berichtet am 30.12.1905:

"Im Kronensaale hierselbst begannen gestern unter gewaltigem Andrange des Publikums die Vorträge uud Aufführungen aus dem alten Bauernleben des Wendlandes. Es ist ein erfreuliches Zeichen der Heimatliebe unserer Wendlandbewohner, daß diese kulturgeschichtlichen Aufführungen ein solches Interesse bei der heutigen Generation finden, in der die Zahl derjenigen, die diese alten Trachten und Gebräuche miterlebt haben, immer kleiner wird. Andererseits ist es aber auch gar nicht hoch genug einzuschätzen, daß sich unter der Anregung und Leitung des Herrn Lehrers Mente-Rebenstorf Personen zusammengetan haben, die sich dieser aufopfernden Arbeit widmen. Möge ihnen allen der große Beifall, den die gegenwärtigen Aufführungen finden, ein bescheidener Lohn für ihre selbstlose Tätigkeit sein.

Die Vorstellungen begannen am gestrigen Donnerstag nachmittags 5 Uhr mit dem stimmungsvollen Eingangslied: „0, du mein liebes Wendenland"; hieran reihen sich die einzelnen Bilder aus dem Wendenleben, die in ihrer natürlichen Wiedergabe und Urwüchsigkeit wohl unerreicht dastehen.

Da sieht man zunächst die verschiedenen Hausgenossen bei der Flachsarbeit. Maschinen, wie sie unsere heutige Zeit kennt, gab es damals noch nicht; es mußte alles mit der Hand und mit Hilfe recht primitiver Instrumente besorgt werden. Der trockene Flachs wurde zunächst gebockt, d. h. auf einen Block mit Holzschlägern geschlagen, um die Holzfasern zu brechen dann „inschürt", um die gebrochenen Holzteilchen zu entfernen, darauf geschwungen, um ihn glatt zu legen und schließlich gehächelt und geschüttelt, um die Heede zu entfernen.

Das nächste Bild stellt die Spinnstube dar, in der die jungen Mädchen unter Aufsicht eines Mütterchens fleißig am Spinnrad sitzen. Am späteren Abend kommen die Burschen des Ortes; es wird gescherzt, gesungen und schließlich unter der Parole „Slarn weg" ein Tänzchen riskiert. Die Musik liefern sich die Tanzenden durch den Gesang selber.

Stimmungsvoll und von einem religiösen Hauch durchzogen ist das folgende Bild: „Am Sonnabend Abend im Herbste". Man sieht die Familie beisammen; der eine Teil trifft die letzten Vorbereitungen zum kommenden Sonntag, während „Grotmodder' in der alten Hausbibel liest. Es naht die Zeit des Zubettegehens und alles begibt sich zur Ruhe.

Humoristisch wirkt die nächste Darstellung, die uns eine Gemeindeversammlung aus alter Zeit vorführt. Der Ortsvorsteher „Schult", erscheint auf der Dorfstraße und ruft seine Bauern zur Beratung zusammen: „Buern rut!" Da es auf der Dorfstraße schon zu kühl ist, zieht die ganze Gesellschaft in den Ortskrug. Hier wird beschlossen, „dat oll krank Anthrin in Kath weil se sick ümmer got bedragt at, all acht Doog ümwarts bi (?) Bur eten schall, damit se ümmer bi Lüt is." — Und weiter wird zu Beschluß erhoben, „dat dat Lock in Schoolmeister sin Deck mit en paar Hand vull Stroh tostoppt war'n schall und Nachtwächter sin Döns utwittken müt. Kalk un Quast ward em liefert, dat Wittkern mütt he allehn dohn. Man kriegt sich bei diesen wichtigen Beschlüssen natürlich in die Haare aber bald verträgt man sich wieder und schließt das Ereignis mit einer kleinen Feier.

Eine Sitte, die sich stellenweise noch heute erhält, bringt das nächste Bild, das „Bauerbier". Hier tritt so recht die Genügsamkeit bei allen Gelegenheiten zutage, die von den Altvordern auch bei den größten Feierlichkeiten bewahrt wurde. Bei Tanz und Trank ist alt und jung beisammen und mit dem Liede: "Ach Leut, laßt uns nach Hause gehn, das Bier ist nun gleich aus. Lasset uns noch einmal trinken in dieses Haus" schließt das Bauerbier.

Das Schlußbild zeigt die Pracht der alten wendländischen Kostüme, die bei Hochzeitsfeiern entfaltet wurde. Tausende von Mark an Wert repräsentieren die Garderobenstücke, die hier dem Zuschauer vorgeführt werden und die ein Zeugnis geben von dem Wohlstande der Wenden."

Die Motive der Aufnahmeserie wurden in Folge auch als Postkarten produziert, in Teilen auch als kolorierte Version. Sie erschienen im Verlag von W. Bergmann, Lüchow und erweiterten die bereits ab 1901 veröffentlichten Trachtenmotive unter dem Oberbegriff "Hannoversches Wendland" , die überwiegend im Fotoatelier aufgenommen worden sind.
Autor/-in:  Richard  Steinbacher
Quelle:  Torsten  Schoepe
Nutzungsrechte: Zur Klärung etwaiger Urheberrechte wenden Sie sich bitte an Torsten Schoepe, Plater Weg 4, 29439 Lüchow, e-mail torsten@schoepe.de. Wenn als Autor Torsten Schoepe angegeben ist, unterliegt die Abbildung besonderen Nutzungsrechten.
Trachten
Archiv-ID: 45181
Kommentare
Torsten Schoepe 21.07.2023
Die 8 Motive einer Aufnahmeserie von 1905 sind jetzt als Gruppe zusammengefasst und mit interessanten Informationen aus der damaligen Zeitungsberichterstattung versehen worden.
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