Getreidestiegen im Süden Lüchows

Lüchow
Datum: um 1930
Zeitraum: 1919 - 1932

Ernst Stock hat seine Kamera vermutlich an der damaligen Eichenallee nach Saaße aufgestellt. Dank an Gerd Schröder für die Hinweise zu diesem Motiv.

In der Ferne sind Amtsturm und Glockenturm von Lüchow erkennbar.


Aus "Das Jeetzelschiff" - Heimatkundliche Beilage der NJZ (Neue Jeetzel Zeitung) für die Dannenberger-Lüchower Schulen vom 1. März 1951:

"Besinnlicher Spaziergang Lüchow - Saaße

Wenn Angehörige verschiedener Berufe denselben Weg gehen, so sehen sie doch alle etwas anderes vom Wege aus. Der Bauer achtet auf den Stand der Feldfrüchte und auf das Vieh auf den Weiden und beurteilt Boden und Besitzer danach. Der Botaniker sieht nach den Pflanzen, die am Wege stehen. Der Zoologe läßt seine Blicke nach dem schweifen, was da fleucht und kreucht. Den Geologen interessiert der Boden und die Steine. Wenn wir einmal einen Weg zurücklegen und uns nun in frühere Zeiten zurückversetzen, so wird uns auch ein sonst eintöniger Weg nicht langweilig werden.

Wandern wir auf der Bundesstraße 248 von Lüchow nach dem 2 km entfernten Saaße, so überschreiten wir zunächst die Geleise des Bahnhofs Lüchow. In diesem Jahre sind es 60 Jahre her, daß Lüchow eine Bahnverbindung bekam. Fast 20 Jahre hatte Dannenberg schon seinen Bahnhof, und die Südwestecke des Kreises, die Schweinemark, war ebenfalls seit dieser Zeit durch die Eisenbahn erschlossen. Vor 60 Jahren mußte man erst nach Salzwedel, um von da eine Reise antreten zu können. Wieviel Mühe bereitete der Transport der Erzeugnisse, die verschickt werden sollten, oder die Anfuhr der Waren, die in unserer Gegend benötigt wurden. Noch heute leben Leute, die am Bahnbau mitgearbeitet haben, und die sich an den Tag erinnern, an dem die Arbeit begonnen wurde.

Wir gehen ein paar Schritte weiter über die Geleise der Lüchow-Schmarsauer Bahn, die früher Kleinbahn Lüchow - Schmarsau hieß. Auch sie kann in diesem Jahre ein Jubiläum feiern. 40 Jahre sind es seit Eröffnung dieser Strecke her. Leider wurde die Bahn nicht bis Arendsee weitergebaut. Vor ein paar Jahren, als der Grenzverkehr nach der Ostzone noch in Blüte stand, da fuhren Tausende bis in den Lemgow, um dort schwarz die Zonengrenze zu überschreiten.

An der Eisenbahnstrecke nach Salzwedel erblicken wir die Rote Scheune oder Lüchower Scheune. Wie ein Fremdkörper wirkt sie in der Landschaft. Sie ist nicht von Bauern erbaut, sondern sie diente dem Remontedepot in Königshorst, das wieder dem Remontedepot in Arendsee unterstand. Bis zum 1. Weltkriege wurden von dem früheren Reichsheer noch viele Pferde gebraucht. Durch Kommissionen wurden geeignete 2-3-jährige Pferde aufgekauft, die dann noch als „Remonten“ ein Jahr bis zur Indienststellung in Königshorst blieben. Reges Leben und Treiben herrschte hier. Mit dem Ausgang des 1. Weltkrieges war es aber damit vorbei. Das Gut Königshorst, das aus dem früheren Dorfe Banneick entstanden war, wurde aufgeteilt und an Siedler vergeben. Ein Teil des Gutes wurde an die Gemeinden der Umgebung abgegeben, damit kleinere Besitzer, Anbauer und Abbauer, etwas mehr Land zur Bewirtschaftung bekamen.

Nicht weit von der Roten Scheune befindet, sich eine Steinschlagstätte aus der mittleren Steinzeit (12 000 bis 4000 vor Chr.) Auf einem etwas erhöhten Platze ließen sich die ersten Siedler in der Nähe der Jeetzel nieder. Neben der bekanntesten Steinschlägstätte bei Blütlingen befindet sich an der Jeetzel noch eine solche in der Nähe der Post in Lüchow. Die Menschen, die damals noch Fischer und Jäger waren, hatten sich in der Nähe eines Flusses niedergelassen.

Wir gehen weiter. Zwischen den Kilometersteinen 17,6 und 17,7 steht ein kleiner, unscheinbarer Stein. Mit Mühe können wir die Jahreszahl 1888 darauf entziffern. Wenn wir diese Jahreszahl hören, so denken wir an die Hochwassernöte an der Elbe. Daß auch hier eine Gefahr bestand, ahnten wir nicht. Als im Frühjahr 1888 nach langem Frost und starkem Schneefall plötzlich starkes Tauwetter einsetzte, stieg das Wasser sehr an. Vor den Schleusen in Lüchow häuften sich die Eisschollen, und die Wassermassen wurden angestaut. Der Eisenbahndamm war damals noch nicht erbaut, und so drängten die Wassermassen mit aller Gewalt nach Osten. Die Böseler und Saaßer Bauern fuhren Sand und Dung zu einem Damm zusammen, um das Wasser von ihrer Feldmark abzuhalten. Mit Kniestiefeln konnte man nicht auf der Straße von Lüchow nach den Dörfern des Kring kommen.

Ein schönes Kleinpflaster und eine glatte Teerdecke hat heute die ßundesstraße. Schnurgerade führt sie bis nach dem Dorfe Saaße, während die meisten anderen Straßen viele Biegungen machen. Uns fällt das plattdeutsche Rätsel ein: „weg is weg, at vor hunnatunddusend joarn all weg west!“ Man muß dieses plattdeutsche Rätsel hören und nicht lesen, denn wenn wir es lesen, fällt uns die Lösung „Weg“ ein. Hier stimmt das Rätsel nicht mehr, denn die Straße hatte früher einen anderen Verlauf. Noch auf der Karte der kurhannoverschen Landesaufnahme von 1768—84 ist eine andere Wegeführung eingezeichnet. Wo heute etwa 200 m rechts der Straße Schwarzdornbüsche stehen, da ging früher der Weg, um dann etwa 400 m vor Saaße wieder auf die heutige Straße zu führen. Es war ein sumpfiges Gelände. Der „Lusbusch“, durch den die Straße führte, hatte nichts mit Läusen zu tun. Der Name, der ebenso wie der Name „Lucie“ aus dem Slawischen kommt, bedeutet etwa sumpfiges Gelände. Wir denken an die Frachtfuhrleute, die sicher geflucht haben, wenn der beladene Wagen steckenblieb in dem Morast. Wer mag diese alte Straße benutzt haben? In früherer Zeit waren es die Handwerksgesellen, die hier nach Salzwedel wanderten. Fahrendes Volk, fremde Soldaten zogen nach Norden und Süden. Zählte doch der Grenzvogt in Lübbow im Jahre 1813 über 100 000 Mann, die über die Grenze gingen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß ein Teil nicht nur die jetzige Bundesstraße 248 benutzt, sondern, daß ein großer Teil auch den Weg über Wustrpw ging.

Am 22. April 1945 stießen die amerikanischen Panzer auf dieser Straße nach Lüchow vor. Wir wollen aber nicht immer nur an Soldaten und Krieg denken! Versetzen wir uns in die Zeit vor etwa 80 Jahren, als die Bauern der Umgebung ihre Schweine nach Lüchow auf den Markt trieben. Ja, die Zeiten haben sich gewandelt. Alte Leute können auch noch von dem ersten Radfahrer berichten, der hoch auf seinem Rade auf diesem Wege von Salzwedel nach Lübbow fuhr. Es war ein Photograph, der auch in Lüchow Aufnahmen machte. Wenn dieser mit seinem Rade auf der damals so holprigen Straße fuhr, dann konnte man es weithin hören, denn das Rad hatte noch keine Gummireifen. Die Leute staunten über dieses neumodische Ding. Aber noch mehr staunten sie, als die ersten Wagen ohne Pferde mit viel Geräusch und Gestank die Straßen unsicher machten.

Lassen wir den Blick nach Jeetzel hinüber schweifen, dann gehen unsere Gedanken mehr als 1000 Jahre zurück. Wir versetzen uns in die Zeit Karls des Großen, der in Schezla einen Handelspunkt für den Ost-West-Handel einrichtete. Die Gelehrten glauben, in der Nähe des Dorfes Jeetzel diesen Ort gefunden zu haben. Von hier ging damals der Handel weiter über den Höhbeck und über die Elbe, wo damals Angehörige der slawischen Völkerfamilie wohnten. Und wir sehen auch den Köppelberg bei Jeetzel, wo in früherer Zeit die Hinrichtungen vorgenommen wurden. Aber an diese traurigen Begebenheiten wollen wir uns nicht erinnern.

Bald haben wir das kleine Gehölz erreicht, das rechts der Straße liegt. Es ist der schon erwähnte Lusbusch, der auch den Namen Schwedenbusch führt. Es war zur Zeit des 30jährigen Krieges, so weiß man noch zu erzählen, als wieder einmal ein Haufen von Plünderern heranzog. Gutes war nicht zu erwarten. Zu schlechte Erfahrungen hatten die Bauern mit herumziehenden Soldaten gemacht. In ihrer Verzweiflung taten sich die Saaßer Bauern zusammen und erschlugen die Plünderer. Die Leichen wurden in den Sumpf geworfen. Hennings berichtet in seiner 1862 erschienenen Festschrift „Das hannoversche Wendland', daß verrostete Waffen und bleichende Gebeine nochmals in neuerer Zeit das Licht des Tages sahen.

Das Dorf Saaße ist bald erreicht. Es ist ein Runddorf, dessen Häuser die Erbauungszahl 1822 tragen, denn im Jahre 1821 legte eine große Feuersbrunst fast das ganze Dorf in Asche. Im Lüneburger Heimatbuch wird der Dorfname als „Die Sachsen“ gedeutet „Runddorf und Sachsen“, mit dieser Frage wollen wir uns heute nicht beschäftigen.

Unser Ziel ist erreicht, wir gehen zurück nach Lüchow. Auf dem Heimwege sehen wir den Kolborner Berg, an dem vor Jahrhunderten Wein angebaut wurde. Die alte Holländer Mühle hat keine Flügel mehr. Ebenso wie die Galerie-Holländer-Mühle, die in der Nähe des Bahnhofs stand, hat sie nicht mit der Zeit mitkommen können. Wie viele Mühlen drehen noch lustig ihre Flügel im Winde? Und wie lange wird es noch dauern, dann haben die großen Mühlen ihre kleineren Geschwister völlig verdrängt?

Es ist dunkel geworden, als wir wieder die Geleise der Bahnhöfe überschreiten. Von der grauen Vorzeit bis in die jüngste Vergangenheit gingen unsere Gedanken. Wer wird diese Straße nach uns gehen?"
Autor/-in:  Ernst  Stock
Quelle:  Inge  Pehlke
Ernte • Landschaft • Landwirtschaft
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