Großbrand in der Langen Straße

Lüchow
Lange Straße (zwischen Markt und Jeetzel)
Datum: Oktober/November 1905
Zeitraum: 1900 - 1913

Die Gebäude des Kaufmanns C.H. Schultz und des Bäckers Grote sind abgebrannt.

Carl Gerlach hat diese Aufnahme aus dem Wohnzimmer seines Hauses, Lange Straße 65, an der Ecke Kirchstraße aufgenommen. In Kenntnis des großen Brandes im Jahre 1811 wird der Großbrand auf die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnenden Menschen einen verheerenden Eindruck gehabt haben.

Auf der Brandfläche wird das spätere Kreishaus gebaut

Der Redakteur der Lüchower Kreiszeitung schreibt am Dienstag, 24. Oktober 1905:

Durch eine gewaltige Feuersbrunst wurde in der Nacht vom Freitag auf Sonnabend das größte industrielle Etablissement unserer Stadt: der große Gebäudekomplex der Firma C. H. Schultz an der Langenstraße und der Ritterstraße, sowie das Bäckermeister Sophus Grote'sche Wohnhaus vollständig zerstört. In dem ersteren befand sich die elektrische Zentrale, die bis zum Brande unsere Stadt mit elektrischem Licht und Kraft versorgte. eine Dampfmühle, ein Futterartikel-Lager, eine Spritbrennerei, Lager- und Braunbierbrauerei und eine Gastwirtschaft, — alles bildet heute einen großen rauchenden Schutt und Trümmerhaufen. Kurz nach 1 Uhr bemerkte der Nachtwächter aus dem Dach der Dampfmühle Flammen, die sich ungeheuer schnell über den ganzen Dachstuhl des großen Gebäudes verbreiteten. Als durch den Alarm der Nebelhörner zuerst die Nachbarn auf der Brandstelle erschienen, lagen die Bewohner des Schultz´schen Hause noch im Schlafe und ahnten noch nichts von der sie umgebenden furchtbaren Gefahr; nur mit Mühe konnten sie sich in Sicherheit bringen. Unter diesen Umständen war an ein Bergen von Mobilien, Kleidungsstücken und anderen Gegenständen nicht zu denken, zumal dar Feuer durch den Luftschacht die Treppen im Wohnhause ergriffen und den Zugang zu den oberen Etagen versperrt hatte. Aus den Kontoren konnten die Geschäftsbücher, Briefschaften usw. geborgen werden. Inzwischen waren die Spritze der freiwilligen Feuerwehr und die städtischen Spritzen erschienen, denen sich viele Spritzen aus der Umgegend nach und nach zugesellten.

Vereint griff man den kolossalen Feuerherd an, um das Uebergreifen der Brandes auf die benachbarten Wohnhäuser zu verhindern und dadurch einer unabsehbaren Gefahr für viele Familien vorzubeugen. Daß dieses gelungen ist, hat man den braven Männern zu verdanken, die ungeachtet der sie umgebenden Gefahr, stundenlang in der furchtbaren Hitze Stand hielten und die nebenan und gegenüber liegenden Gebäude beständig unter Wasser hielten. Der Giebel des in der Ritterstraße gegenüberliegenden Haßler´schen Hauses brannte wiederholt, die Flammen konnten aber immer wieder gelöscht werden.

Das Kaufmann Schillig´sche Haus war zeitweise höchst gefährdet, desgleichen das Hintergebäude des Schlachtermeister Wellmann und das Haus des Tischlermeisters Schulz. Alle diese Gebäude haben mehr oder weniger unter der Glut resp. unter den kolossalen Wassermassen, die auf sie geworfen wurden, gelitten. Dasselbe war mit den aus der Langenstraße gegenüberliegenden Häusern des Senators Schultz, des Kaufmanns Stelling, des Schlachtermeisters Otterburg und des Rentiers Sandhagen der Fall. Daß das Bötticher´sche Haus verschont blieb, ist neben der Tätigkeit der Rettungsmannschaften, die auf dem Dache mit dem Schlauch tätig waren, dem Umstand zu verdanken, daß dasselbe von dem Schultz´schen Stallgebäude durch eine massive Mauer getrennt war.

Das Bäckermeister Grote´sche Haus konnte während der Nacht noch gehalten werden, brannte aber am Morgen gegen 7 Uhr doch noch bis auf den Grund nieder. Das Buchhändler Sander´sche Haus hat ebenfalls durch Wasser gelitten. Auf die an der Jeetzel gelegenen Hintergebäude, in denen sich Eiskeller, Lagerräume und Wirtschaftsgebäude befanden, konnte sich das Flammenmeer ungehindert ausdehnen und fand reichliche Nahrung in den dort lagernden großen Heu und Strohvorräten. Im Vorderhause griff das Feuer von Etage zu Etage immer weiter um sich und bildete schließlich einen einzigen großen Flammenschlund, aus dem die Feuergarben hoch emporloderten und den Himmel meilenweit sichtbar röteten. Unter furchtbarem Krachen stürzten in der Dampfmühle die Mühlsteine und schweren Maschinen durch die Zimmerdecken, mit lautem Knall explodierten kleine und größere Fässer mit Spiritus, darunter ein Behälter mit ca. 700 Liter Inhalt. Erst nach 5 Uhr früh war die Gefahr für die Nachbargebäude in der Rosenstraße beseitigt und 2 Stunden später war das ganze Anwesen niedergebrannt. Von dem gesamten Mobiliar, den Wirtschasftsgegenständen, den großen Vorräten an Mehl, Getreide, Futterartikeln aller Art konnte nichts gerettet werden, gegen 20000 Liter Spiritus und der ganze erhebliche Lagerbier-Vorrat sind vernichtet worden.

Nicht nur der Schultz´schen Familie ist alles verbrannt, auch das Personal, die Knechte, Mädchen, darunter 8 Galizierinnen, haben fast ihre ganze Habe eingebüßt, die, wie das ja in der Regel der Fall ist, nicht versichert war. Der Schaden dürfte auf ca. 300.000 Mark zu schätzen sein. Die Pferde und das Rindvieh konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Wie das Feuer entstanden ist, darüber herrscht noch völliges Dunkel, und eine Aufklärung über die Ursache des Brandes wird auch wohl nie geschaffen werden können. Auch dem Bäckermeister S. Grote ist fast alles verbrannt, sein ganzes Bürgerwesen liegt vollständig in Asche.

In der Nacht zum Sonntag geriet noch das Sandersche Haus in Gefahr, die Schwellen waren durchgebrannt und das Feuer hatte bereits unter dem Fußboden Ausdehnung gefunden, wurde aber rechtzeitig wahrgenommen und konnte gelöscht werden. Das Haus hat nicht unerheblichen Wasserschaden erlitten. In den besonders gefährdeten Häusern waren mehrfach die Wohnungen geräumt worden (Rechtsanwalt Mosler, Brennmeister Stöcker), im Senator Schultz'schen und Kaufmann Schillig´schen Hause zersprangen zwei große Scheiben. Auf dem Schultz´schen Wohnhause befand sich der Isolatorenträger für einen Teil des Stadtfernsprechnetzes, das vorläufig gestört ist. Die Postverwaltung hat aber bereits gestern mit den Wiederherstellungsarbeiten begonnen. Der neue Isolatorenträger wird auf dem Wellmannschen Hause errichtet und wird die Fernsprechverbindung noch in dieser Woche wieder hergestellt werden.

Leider müssen wir auch von einem bedauerlichen Unfall berichten, von dem der Zimmermann Schulz (Neuestraße) betroffen wurde, in dem er von dem Dache des Schillig´schen Hauses zur Erde stürzte. Glücklicherweise sind die Verletzungen nicht lebensgefährliche und befindet sich der brave Feuerwehrmann, der stundenlang mit dem Schlauch in der Hand auf dem höchst gefährdeten Schillig´schen Hause der sengenden Glut getrotzt hatte, auf dem Wege der Besserung. Ein anderer Unfall ereignete sich am Sonnabend mittag auf der Brandstelle. Der 12jährige Sohn des Brauereibesitzers Banneick aus Wustrow wurde beim Spiel von einem Manne so heftig zur Erde gestoßen, daß er sich einen Fuß brach und in ärztliche Behandlung gehen mußte. Am Sonnabend und Sonntag bildete der ausgedehnte Brandplatz das Ziel zahlreicher Personen aus der näheren und weiteren Umgegend. Ein eigentümlicher Zufall will es, daß der große Brand von 1811, durch den fast die ganze Stadt Lüchow in Asche gelegt wurde, seinen Ursprung in dem jetzt abgebrannten Schultz´schen Hause gefunden hatte. In dem Grote´schen Hause ist bedauerlicher Weise eine von den verstorbenen Gebrüdern Grote mit vielem Fleiß zusammengetragene Chronik verbrannt. Durch die Zerstörung des Elektrizitätswerks ist unsere Stadt des Abends in tiefes Dunkel gehüllt; der Kalamität dürfte jedoch schon heute oder morgen abgeholfen werden, da dann das neue städtische Elektrizitätswerk den Betrieb aufnehmen wird.


Die "Zeitung für das Wendland" berichtet in ihrer Ausgabe vom 24. Oktober 1905:

"Durch ein Feuer von ganz enormem Umfange wurden in der Nacht zum Sonnabend die Gebäude der Firma C. H. Schultz zerstört. Die Baulichkeiten enthielten die Brennerei, Lagerbierbrauerei. Dampfmühle und das Elektrizitätswerk und erstreckten sich von zwei Straßenfronten bis zum Jeetzelflusse hinunter. Das Feuer war in dem oberen Stockwerk der Mühle kurz nach 1 Uhr nachts ausgekommen und hatte in den wenigen Minuten, daß die Hausbewohner geweckt und Alarm geschlagen wurde bereits eine solche Ausdehnung angenommen, daß an ein Retten von Mobiliar nicht gedacht werden konnte. Nach kurzer Zeit brach das mit hunderten von Zentnern Eisen belastete Mühlengebäude zusammen und setzte das Feuer seine Zerstörung an den Hintergebäuden und dem dreistöckigen Wohnhause fort.

Die hauptsächlichste Arbeit wurde nun auf die Rettung der benachbarten und der gegenüberliegenden Gebäude an der Langen- und an der Rosenstraße angewandt, namentlich stand das Kaufmann Schilligsche Wohnhaus lange Zeit in größter Gefahr und konnte nur durch die Tätigkeit zahlreicher Schläuche gehalten werden. Das anfänglich noch geschützte Wohnhaus des Bäckermeisters Grote wurde gegen morgen noch vom Feuer vernichtet, nachdem auch hier die Hintergebäude vorher weggebrannt waren. Zum Glück war es gelungen, gleich beim Ausbruch des Brandes zahlreiche Spiritusfässer in Sicherheit zu bringen, sonst hätten diese durch ihre Explosion und ihren gefährlichen Inhalt wohl die ganze Umgebung mit Feuer überschüttet. Ebenso konnten die Hähne des unter Druck stehenden großen Dampfkessels rechtzeitig geöffnet werden. Infolge des riesigen Feuerscheines waren zahlreiche auswärtige Spritzen erschienen, sodaß zusammen mit den Spritzen der städtischen und freiwilligen Feuerwehr und der der Firma C. D. Brünger wohl 30 Löschapparate in Tätigkeit waren. Gegen morgen waren die brennenden Gebäude soweit zusammengebrochen, daß eine Gefahr für die Nachbarn nicht mehr bestand und konnten die aus ihren Wohnungen mit dem nötigsten Mobiliar geflüchteten Einwohner der Rosenstraße wieder einziehen. Durch die Hitze ist der Oelfarbenanstrich dieser Häuser vollständig zerstört worden, ebenso sind im Schilligschen und P. F. Schultz´schen Hause die Schaufenster zersprungen. Der entstandene Schaden dürfte eine Viertelmillion überschreiten und wird in der Hauptsache von der Magdeburgischen und nordbritischen Versicherung getragen. Durch das Feuer ist auch die Telephonverbindung unserer Stadt vollständig abgeschnitten, da alle Leitungen auf dem niedergebrannten Gebäude befestigt waren. Eine andere Kalamität ist durch die Vernichtung des Elektrizitätswerkes entstanden die am meisten von den Motorenbesitzern und den Gastwirten empfunden werden dürfte. Während des Brandes ereignete sich auch ein Unfall. Der Zimmermann Heinrich Schulz stürzte aus der Höhe der zweiten Etage von einer am Schilligschen Hause stehenden Leiter und mußte besinnungslos in das Wellmannsche Haus getragen werden. Die sofortige ärztliche Untersuchung ergab keine äußeren Verletzungen und sollen sich später auch keine inneren Beschädigungen gezeigt haben, mittels Tragkorbes brachte man den Verunglückten in seine Wohnung. Die niedergebrannten Gebäude bilden jetzt einen riesigen Trümmerhaufen aus dem die Schornsteine als stumme Zeugen hervorragen. Zahlreiche Eisenteile, u. a. eine ca. hundertpferdige Dampfmaschine liegen unter den Trümmern begraben und werden erst nach dem Erlöschen der immer wieder aufflackernden Flammen geborgen werden können. Die zahlreichen im Hintergebäude untergebrachten Kühe und Pferde, wie auch die Geschäftsbücher und Korrespondenzen der Firma wurden gleich zu anfang gerettet. In der Mühle verbrannten ca. 1000 Ctr. Roggen, 1000 Ctr. Roggenkleie. 500 Centner Mehl und zahlreiche Futtermittel."
Autor/-in:  Carl  Gerlach
Quelle:  Torsten  Schoepe
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Brand
Archiv-ID: 25446
Kommentare
Gerd Schröder 07.03.2024
Auch wenn die Brandursache nicht genau ermittelt wurde, der Brand ging aus von der Mühle. Das deutet auf eine damals nicht so bekannte Ursache hin. Mehlstaub in Verbindung mit Sauerstoff ist hochexplosiv. Archiv-ID: 17474 das wurde an der Langen Str. vernichtet. Von dort will ich versuchen andere Zusammenhänge zu deuten.
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