Hafenanlage an den Bleichwiesen

Lüchow
Junkerstraße
Zeitraum: 1900 - 1913

Blick über die Brücke der Drawehnerjeetzel in der Junkerstraße nach Süden auf den alten Hafen und die Bleichwiese. Der regelmäßige Frachtverkehr mit den Jeetzelkähnen wurde 1901 eingestellt. Einzelne Transporte hat es danach noch gegeben. Die Damenhutmode lässt jedenfalls auf ein späteres Aufnahmedatum schließen. Die Annahme von Inge Pehlke, dass diese Aufnahme von ihrem Großvater Ernst Stock gemacht wurde und seine Frau den Hut trägt, kann durchaus richtig sein. Ernst Stock hat ab 1911 in Lüchow fotografiert.

Folgender Text stammt aus dem "Heimatbüchlein für den Kreis Dannenberg" von Schulrat Heinrich Laue:

"Auf der Bleichwiese.

An einem schönen Sommertag trafen sich zwei der ältesten Lüchower, ein Mann und eine Frau, zufällig auf der Bleichwiese. Sie waren Schulkameraden gewesen und hatten sich seit langen Jahren nicht gesehen, weil Wischen (Lowise-Luise) in eine andere Stadt gezogen war. Jetzt begrüßten sie sich herzlich, setzten sich auf eine Bank und fingen an, von alten Zeiten zu reden und wie in Lüchow doch alles so anders geworden wäre.
„Sieh, auch die Bleichwiese hat sich so verändert," sagte Wischen. „Jetzt flattert vor uns etwas Wäsche im Winde, aber von Bleichen keine Spur. Weißt du noch, Gustav, wie in unserer Kindheit die langen Stücke Leinen auf der Wiese so dicht nebeneinander lagen, daß wir beim Hinüberspringen kaum Fuß fassen konnten? Wie ein grobes, weiß und grün gestreiftes Tuch, so sah damals die Bleichwiese aus. Und das Spritzenhaus verdeckte noch nicht die Aussicht nach der Straße."
„Erinnerst du dich noch an die dicke Dornenhecke mit dem großen eisernen Tor in der Mitte, das die Bleichwiesie nach der Wallstratze abgrenzte?" fragte Gustav.
„Ja, recht gut", war die Antwort. „Und da, wo heute das Lager des Arbeitsdienstes ist, war der breite Mottgraben, in dem die besten Pumpkeulen standen. Zwischen ihm und dem Quergraben stand die kleine Pforte, welche die städtische Bleichwiese von der großen Bleiche trennte. Und auch dort zogen sich die langen Leinenstreifen hin bis an die ehemalige Badeanstalt und an der andern Seite vom Weg bis an die Kabelgärten. Weißt du das noch?"
„Ja, sicher."
„Ja, und dort, gerade an der Jeetzelbiegung vor uns stand das Bleicherhäuschen mit der alten Steinkasten-Mangel und der Schlafstelle für den Wächter. Die Wäscherinnen, die vorne auf den drei Waschbänken ihr Zeug spülten und sich dabei die Neuigkeiten von Lüchow erzählten, bläuten nachher vor dem Bleicherhaus ihre Wäsche, und wenn das Zeug trocken war, fing das umständliche Rollen mit dem Steinkasten an."
„Wie gerne verstellten wir heimlich die Waschbänke, bald hoch, bald tief und spielten dort, wenn nicht gespült wurde, und holten uns nasse Füße!" [zu den Waschbänken siehe ID 16732]
„Was für Freude halten wir aber erst, wenn die langen Jeetzelkähne kamen, die fast so groß waren wie die Elbkähne und so schöne hohe Masten hatten! Da konnten wir sogar in Lüchow sehen, wie es in einem Hafen aussieht. Wie lustig wurde es, wenn wir Jungen halfen, die Herings- und Petroleumtonnen bis in die Lange Straße wegzuschaffen! Und wie dröhnte die Bleicherstraße, wenn wir die leeren Fässer zurückrollten! Solche Frachten machten uns mehr Spaß als die Steinkohlen aus Hamburg und die Braunkohlen, welche unmittelbar aus Böhmen kamen: denn beim Kohlentragen konnten wir nicht helfen, und in den Kähnen holten wir uns nur schmutzige Kleider. Dafür entschädigten wir uns nachher beim Zusehen an der Insel nahe der Mühle, wo die Kartoffeln eingeladen wurden. Die nahmen die Schiffer von hier mit, und wir wären gerne mit ihnen gefahren weit in die Welt hinaus."
„Am meisten Handel wurde aber mit Leinen getrieben. Lüchow war doch früher in den fünfziger Jahren die größte Leinenlegge im ganzen Königreich Hannover. Das Leinen aus unserer Heimat war nicht nur in Deutschland, sondern auch in Norwegen und Spanien und in vielen andern Ländern berühmt, weil es so derb und fest und schwer war."
„Ja, was wurde damals in unserer Gegend gewebt!
Mein Vater hat uns häufiger gesagt, daß in einem einzigen Jahr in den Leggen unserer Heimat für 250—300.000 Taler Leinen verkauft wurde, in der Lüchower Legge allein für 150.000 Taler. Und wieviel behielten die Leute für sich selbst! Ja, unsre Leinenweberei brachte uns Wohlstand und Zufriedenheit."
„Aber viel Arbeit machte sie auch. Wem der Bauer mit seiner Frau eine Woche lang von früh bis spät fleißig gewebt hatte, so konnte er am Sonnabend 100 Ellen Leinen in der Kiepe nach Lüchow tragen. Sie mußten schon im Morgengrauen, um 4 und 5 Uhr, zur Legge kommen, um sich zum Leinenmessen anschreiben zu lassen. Das ging nach der Reihe, und obgleich auf 5 oder 6 langen Tischen gemessen wurde anstatt mit der Elle, konnte doch bis spät abends nicht alles geschafft werden, soviel Leinen wurde gebracht,"
„Ich erinnere mich noch ganz gut an den alten Leggemeister und die beiden Leggediener, die immer weiße Kittel trugen. Aber in die Legge habe ich mich nie hineingewagt. Erzähl mir doch, wie es da zuging!"
„Du weißt doch, daß die Tische 10 Ellen oder 1 Reep lang waren? Die Leggediener zogen das Leinen einfach über den Tisch, und nach 10 Ellen wurde immer ein Kreidestrich gemacht. Dann wurde das Leinen weitergezogen, und so ging es fort, bis 70 oder 80, ja 100 Ellen abgemessen waren. Dahinter setzte der Leggemeister seinen roten Stempel mit dem springenden Pferd, damit niemand das Maß ändern konnte. An den Anfang des Stückes drückte er mit Mennige 2 Stempel, einen mit dem springenden Pferd, dem Zeichen des Königsreichs Hannover, und einen mit der Aufschrift: Legge zu Lüchow. Zwischen diese Stempel schrieb er mit Tinte die genaue Ellenzahl, und wenn das Leinen gut war, setzte er ein G. daneben. Das mangelhafte Leinen bekam dafür ein M. Dann kamen die Kaufleute und kauften das Lernen hier in der Legge. Für 100 Ellen gutes Leinen bekamen die Bauern 10—12 Taler. Das grise oder greise, auch hedene Leinen wurde als Sackleinen und Planleinen gleich weiter nach Uelzen geschickt mit Mechows Frachtwagen, und von da ging es mit der neuen Eisenbahn weiter nach Hamburg und Hannover. Das reinflächsene und halbflächsene Leinen mußte aber erst auf die Bleiche.
Nun gab es Arbeit! Zuerst wurden Bänder an das Leinen genäht zum Festhalten. Dann wurde es ins Bükhaus geschafft, das gleich hinter dem Quergraben an der Jeetzel stand. Da mußte das Leinen erst vom gröbsten Schmutz gereinigt werden. Es wurde fest aufeinander in 2 große Bottiche oder Kübel gepackt und mit einer Lauge, in die Asche oder Soda getan wurde, übergossen. Wenn es über Nacht ordentlich durchgeweicht war, wuroe es gewalkt."
„Gewalkt? Wie wurde denn das gemacht? Wurde es tüchtig geklopft?"
„Durch ein Göpelwerk wurden zwei große, schwere und dicke Balken in den Bottichen immer auf- und abbewegt, so daß sie all den Schmutz herausstampften. Dann mußte das Leinen gespült werden."
„Daran erinnere ich mich auch noch. Ich habe gern beim Spülen zugesehen und mich über den grauen Streifen gefreut, der vom Leinen aus die Jeetzel herabkam. Und daß das Leinen 8 Tage auf der einen Seite gebleicht wurde und 8 Tage auf der andern und an Pflöcken festgemacht war, weiß ich auch noch."
„Aber du hast sicher nicht mit gießen müssen! Morgens um 6 Uhr wurde der Wächter im Bükhaus abgelöst, und dann wurde auch gleich zum erstenmal gegossen mit großen Holzkellen und später mit Gießkannen. Und weil die Jeetzel nicht überall an der großen Bleiche vorbeifloß, schaffte die Windmühlenpumpe das Wasser in einen breiten Graben hinter Claus' Garten. Dreimal am Tage mußten die Leinen begossen werden, und oft lagen 150 Stück beieinander. Das gab Arbeit! Und wenn das Leinen nach 14 Tagen nicht weiß genug war, mußte es wieder gebükt, gespült und 14 Tage gebleicht werden. Einige Stücke lagen sogar 6 Wochen auf der Bleiche, aber dann waren sie auch schneeweiß"."
„Aber nicht glatt! Ich weiß wohl, wie das Leinen dann in der großen Mangel in der Junkerstraße unter dem riesengroßen Steinkasten gemangelt wurde und wie fein der alte Schimmel, der das Göpelwerk trieb, selbst wußte, wenn er stillstehen und umkehren mußte, wenn der Knecht das Hott und Hüh zu rufen vergaß."
„Ja, wie hat sich das Leben auf der Bleichwiese geändert, seit wir Kinder waren! Was war hier damals alles zu sehen, und wie fleißig wurde hier gearbeitet!"
„Noch früher, als unsere Eltern Kinder waren, reichte die Bleichwiese fast bis an die Lange Straße. Da rechnete man zur Stadt Lüchow nur die Häuser zwischen den Jeetzelarmen, alles andere gehörte zur Drawehner und Salzwedeler Vorstadt. Da gab es noch keine Wallstraße, aber neben der Bleichwiese lagen der Wall und der Schützengarten. Wo sich Köhrings Druckerei jetzt befindet, stand vor dem Brande ein Schützenhaus, und bis zum Jahre 1829 ist das Schützenfest auf dem Schützenwall an der Bleichwiese gefeiert worden. Da mag es hier noch mehr Leben gegeben haben als in unserer Kindheit. So ändern sich die Zeiten!
Aber nun muß ich fort, sonst komme ich zu spät zum Essen. Es war doch schön, daß wir uns trafen und wieder einmal von alten Zeiten reden konnten."


Viele weitere Informationen zur Leinenproduktion finden sich im Artikel:
Vom Bauern zum Leinenwebermeister

...und wer sich für die frühere Jeetzelschifffahrt interessiert, wird hier fündig:
Rote Segel auf der Jeetzel
Quelle:  Torsten  Schoepe
Nutzungsrechte: Zur Klärung etwaiger Urheberrechte wenden Sie sich bitte an Torsten Schoepe, Plater Weg 4, 29439 Lüchow, e-mail torsten@schoepe.de. Wenn als Autor Torsten Schoepe angegeben ist, unterliegt die Abbildung besonderen Nutzungsrechten.
Jeetzel • Landschaft • Schiff
Archiv-ID: 17410
Kommentare
Torsten Schoepe 08.07.2023
Im Artikel "Vom Bauern zum Leinewebermeister", in der EJZ-Beilage "Am Webstuhl der Zeit" ab 1953 in elf Teilen erschienen, findet sich ein Hinweis auf das im Bildhintergrund an der Drawehner Jeetzel liegende Gebäude: "Zu jeder ordentlichen Bleichwiese gehörte aber auch ein Bükhaus. das fast immer an einem Fluß - oder an einem Graben stand. In diesem Bükhaus wurde das Leinen vor dem Bleichen gebükt, d. h. in einem großen Bottich mit einer Lauge ausgekocht, damit auch der letzte Schmutz entfernt wurde. Nach dem Büken wurde das Leinen gewalkt, d. h. mit Stampfern ausgepreßt und abschließend gründlich gespült. Erst dann kam es auf die Bleichwiese." Um ein solches Bükhaus wird es sich hierbei höchstwahrscheinlich handeln.
Torsten Schoepe 09.12.2025
Einen Beitrag aus dem "Heimatbüchlein für den Kreis Dannenberg" von Schulrat Laue (1932) haben wir jetzt bei der Abbildung veröffentlicht. Danke an Wolfgang von der Heyde für den Hinweis darauf.
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